Das Opferlamm

KI Bild Midjourney Prompt Grimasse

Textkorrektur: ChatGPT

Ich habe keinen Vertrag unterschrieben, als ich geboren wurde. Kein Häkchen gesetzt unter die AGBs des Kapitalismus. Keine Einwilligung gegeben, dass mein Lebenswert an 50-Stunden-Wochen gekoppelt ist. Eine sarkastische Bemerkung, die ich auf X (ehemals Twitter) machte, als Reaktion auf die immer gleichen Leistungsparolen, die dort kursieren wie Dogmen eine endlos Matrix.

Was als ironischer Kommentar gedacht war, wurde zur Eintrittskarte in eine digitale Hinrichtungsarena.

Zunächst die üblichen Gegenstimmen – Vorwürfe von Faulheit, Realitätsferne, Selbstmitleid. Dann das, was man auf Plattformen wie X kaum noch umgehen kann: die maschinell-menschliche Fusion aus Troll, Ideologe und möglicherweise automatisiertem Account. Diskussionen mit „Usern“, deren Sprache dumpf, vorhersagbar und moralisch abgenutzt wirkt wie ein schlecht trainierter Bot. Ich wollte wissen, wer oder was da reagiert – und antwortete auf Russisch mit einem übersetzten Satz: „Sturz dem Patriarchat.“

Ein digitaler Fehltritt? Ein Testballon? Ein Symbol?

Egal. Es reichte.

Kurz darauf durchsuchte einer der Diskutanten mein Profil. Fand meine Webseite. Mein Impressum. Veröffentlichte meinen Namen. Meine Postleitzahl. Nicht illegal im engen juristischen Sinn – denn als Betreiberin einer Seite bin ich ja verpflichtet, diese Daten offen zu legen. Aber es war keine neutrale Information mehr, sondern ein Werkzeug der Einschüchterung. Doxing, sagt man dazu. Die Waffe der digitalen Gegenwart, wenn das Argument nicht mehr reicht.

Von Meinungsfreiheit zu digitaler Gewalt

Doxing ist kein Einzelfall. Es ist strukturell geworden. Die Grenze zwischen Meinung und Angriff verschwimmt auf Plattformen, die Reiz und Reichweite höher bewerten als Dialog und Diskurs. Wer nicht mitmacht im Chor der konformen Lautsprecher, wird zur Projektionsfläche. Gerade Frauen, queere Personen, Aktivist:innen und Künstler:innen erleben das immer häufiger: Was früher ein Shitstorm war, ist heute eine Form von psychologischer Kriegsführung.

Mitten in Europa. Mitten in unseren Timelines.

Wo bleibt die digitale Zivilgesellschaft?

Was mich am meisten erschreckt hat, war nicht der Angriff selbst. Es war das Gefühl, entblößt in einem Raum zu stehen, der vorgibt, Öffentlichkeit zu sein – aber keine Öffentlichkeit mehr ist. Sondern ein Markt der Egos, Memes, Störmanöver. Wer sich dort ernsthaft äußert, tut das mit dem Risiko, dass Worte aus dem Kontext gerissen, Namen missbraucht und Identitäten instrumentalisiert werden.

Wir reden viel über Meinungsfreiheit – aber zu wenig über digitale Ethik.

Über Plattformverantwortung.

Über die Pflicht zum Schutz.

Und über das Recht auf Rückzug ohne Scham.

Die politische Komponente

Dass mein Beitrag, der sich kritisch mit Leistungsideologie befasste, so schnell in den Fokus rechter Akteure geraten ist, sagt auch etwas über den Zustand unserer Gesellschaft. Die extreme Rechte hat die sozialen Netzwerke nicht nur besetzt, sondern sie strukturell angepasst – sie ist laut, organisiert, triggernd. Wer sich mit Begriffen wie „Patriarchat“ oder „Systemkritik“ äußert, wird schnell zur Zielscheibe einer kulturellen Gegenbewegung, die sich modern gibt, aber autoritär denkt.

Was bleibt?

ich bin nicht verstummt. Aber vorsichtiger geworden.

Ich werde weiter schreiben. Weiter denken. Weiter hinterfragen.

Aber ich frage mich auch: Wie viele Stimmen sind schon verstummt, bevor sie überhaupt gehört wurden?

Der Raum für kritische, unangepasste Perspektiven muss neu verteidigt werden – nicht mit Gewalt, sondern mit Haltung.

Nicht mit Wut, sondern mit Wachheit.

Und vielleicht auch mit einem neuen Vertrag:

Einer Gesellschaft, in der niemand Drohungen befürchten muss, nur weil sie oder er sagt: Ich bin nicht bereit, mein Leben für Leistung allein zu definieren.

Hilfreiche Anlaufstellen und Links für Betroffene von Doxing und digitaler Gewalt:

HateAid – Hilfe bei digitaler Gewalt:

www.hateaid.org

Unterstützung bei Doxing, Hassrede, rechtlicher Beratung und emotionaler Stabilisierung.

Der No-Hate-Speech-Meldeassistent (über die Landesanstalt für Medien NRW):

Meldetools für strafbare Inhalte im Netz – anonym oder mit Hilfe.

NetzDG-Meldestellen bei Plattformen:

Direkt auf X, Facebook, Instagram oder TikTok Inhalte melden unter „Verstoß gegen deutsches Recht“ bzw. „private Daten veröffentlicht“.

Digitale Courage – Tipps zur Impressumspflicht und Anonymität im Netz:

https://digitalcourage.de

Verbraucherzentrale: Recht auf Anonymität im Netz und Impressumsschutz

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